Für die Fahrt von der Nordküste Nordirlands zum Flughafen Dublin hat Lars mit dem Shane’s Castle einen Zwischenstopp herausgesucht. Besser gesagt: er hat ein ungewöhnliches Ziel gefunden. Denn bei unserer Ankunft wirkt das Eingangstor sehr privat. Lars erwartet bei der Burg einen weiteren Drehort der Game of Thrones-Serie.
Die Koordinaten dafür sind sogar im Navi programmiert. Also lässt er sich auch nicht beirren und fahren wir einfach hindurch. Außer Wald und Wiesen ist allerdings weit und breit nichts zu sehen. Doch mein Mann bleibt gewiss: »Hier muss es eine Burg geben, direkt am Ufer des Lough Neagh.«
Die Straße durch das Anwesen jedenfalls führt in die entgegengesetzte Richtung. Kurzum, wir lassen das Auto nahe einer Schranke stehen und versuchen, den Lough Neagh fußläufig über den Wirtschaftsweg zu erreichen. Kaum sind wir unterwegs, kommt ein Ranger angefahren. Ob er uns nun des Grundstücks verweist? Mitnichten, er erklärt uns sogar den richtigen Weg zur Ruine. Das Auto dürfen wir an Ort und Stelle zurücklassen.
Wenige Minuten später stehen wir tatsächlich vor den ersten Ruinen von Shane’s Castle. Wie ein Sammelsurium verteilen sich verschiedenartige Bauwerke auf der Wiese. Einige der Ruinen sind umzäunt und mit der Warnung vor einstürzendem Mauerwerk versehen.
Aber vor einem turmartigen Bau finden wir eine Beschreibung. Demnach wurde die Burg im 14. Jahrhundert am Nordostufer des Lough Neagh erbaut. Genaues scheint nicht überliefert zu sein. Zumindest lesen wir im Text relativ oft das Wort »wahrscheinlich«.
Demnach war es eine Familie Ó Néill, welche mit dem Bau der Burg begann. Damals allerdings noch unter dem irischen Namen Éadan Dúcharraige. Der älteste Teil entstand wahrscheinlich während der sogenannten Plantation. Darunter versteht man die großflächige Landenteignung von irischen Landbesitzern im frühen 17. Jahrhundert. Shane MacBrien O’Neill übernahm 1722 das Schloss und änderte den Namen in Shane's Castle. In der Folge gewann es zunehmend an Größe, bis es 1780 zu einem feinen Kastell herangewachsen war.
1798 beauftragte der Earl den berühmten Architekten Nash für eine Erweiterung des Schlosses. Der Buckingham Palast oder die Regent Street stammen aus den Plänen Nashs. Dem Shane’s Castle sollte er einen südlichen Aspekt verleihen. Es entstand eine Terrasse mit Wintergarten. Dann jedoch wurde der Hauptteil des Schlosses durch einen Brand zerstört. Einer Legende zufolge soll eine Todesfee, die Banshee, das Feuer gelegt haben. Für gewöhnlich warnen solche Geister vor drohendem Unheil oder dem Tod eines nahen Verwandten. Daher überließen die O'Neills ihrer Weißen Dame Maeveen traditionell einen Raum im Schloss.
Bis im Jahr 1816 eine große Hausparty stattfand. Zu diesem Anlass wurde ausnahmsweise auch Maeveens Zimmer in Beschlag genommen. Die Todesfee sah sich brüskiert. Wutentbrannt soll sie einem Feuerteufel gleich das Haus in Brand gesetzt haben. Als wahrscheinlicher gilt ein Vogelnest als Ursache.
Dieses soll eine Dohle in den lange ungenutzten Schornstein gebaut haben. Sowie der Kamin endlich wieder gebraucht wurde, soll es Feuer gefangen haben. Danach konnten sich die Flammen schnell über weite Teile des Schlosses ausbreiten. Doch Genaues weiß keiner.
Solch ein Geisterschloss eignet sich natürlich perfekt als Bühne für die Mittelalter-Saga Game of Thrones. Shane’s Castle und das große Anwesen dienten einige Male als Kulisse. Grauslich war der Lanzenkampf in Königsmund, bei dem Gregor Clegane ein Pferd köpfte. Die Keller der Burg dienten als Krypten von Winterfell. In der Serie liegen beide Orte in weit voneinander entfernten Regionen Westeros.
Hier trennen wenige Schritte die Stechbahn vom Haus der Familie Stark. In einer weiteren Szene wird Cersei Lennister von den Hohen Spatzen in eine Zelle gesperrt. Der Lough Neagh hingegen wird in das Sommermeer verwandelt. Ser Jorah Mormont stiehlt hier ein Boot und segelt mitsamt seinem Gefangenen Tyrion zu seiner geliebten Daenerys nach Meereen.
Weiterhin alleine verweilen wir eine Zeit auf der Terrasse. Hinter uns befindet sich das Kamelienhaus als einziges noch nutzbares Gebäude. Daneben zielen die Kanonen hinaus auf den Lough Neagh. Kein Idyll ohne Wermutstropfen. Doch wir genießen die Ruhe und den herrlichen Blick auf den See. Zugleich bedauern wir, dass weder die Burg noch die Anlage öffentlich zugänglich sind. Dass wir überhaupt hier sein können, ist Glück oder Zufall. Genaueres erkennen wir nämlich beim Rückweg zum Auto.
Nahe der Ruine gibt es einen Bauernhof und sicherlich außerdem ein Herrenhaus. Und wenn wir schon mal hier sind, wollen wir uns auch diese von Nahem anschauen. Also laufen wir einen kleinen Umweg vorbei am Hof. Dort werden wir glatt von einem Arbeiter abgepasst. Er fragt, was wir hier suchen? Was für eine Frage, die Burg natürlich! Unsere Begegnung mit dem Ranger stimmt ihn zufrieden. Sogleich fängt er an zu erzählen, dass hier gerade Vorbereitungen für ein Event laufen.
Mit stolzem Unterton erzählt er, dass auch Sean Bean, der Darsteller von Ned Stark, anwesend sein wird. Daher sei Vorsicht geboten. Freundlich erklärt er, dass die Anlage sonst nur für Hochzeiten oder ähnlich exklusive Veranstaltungen geöffnet werde. So gesehen, können wir uns glücklich schätzen, zuerst zur Burgruine gelaufen zu sein. Unbekümmert konnten wir so den Blick über den Lough Neagh schweifen lassen, bevor wir die lange Fahrt zum Flughafen fortsetzen.