Nach dem Besuch der Guinness Brauerei verlassen wir das Zentrum von Dublins. Auf unserem Programm steht als Nächstes ein Spaziergang durch den Stadtteil Kilmainham. Das Viertel bietet einige Beispiel dafür, wie das britische Empire damals mit Häftlingen und ungewollten Kindern umging und was Soldaten nach ihrer Ausmusterung noch Wert waren. Von der Brauerei aus folgen wir zunächst noch vergnügt – immerhin haben wir schon ein Guinness intus – der Straßenbahnlinie bis zur Haltestelle des Saint James's Hospital. Gleich gegenüber befindet sich das Lehrkrankenhaus des Trinity College. Dieses umrunden wir durch den biederen Krankenhauskomplex und finden im Hinterhof die letzten Reste des Foundling Hospital.
Im 18. Jahrhundert wurden ausgesetzte Kinder zuhauf von sogenannten Babysammlerinnen hier abgegeben. Fortan war ihnen ein tristes Dasein in dem völlig überfüllten Heim beschienen. Völlig vernachlässigt, unterernährt und bei mangelnder Hygiene, wurden die Kinder mit einem Opiumtrank ruhig gestellt. Eine der schrecklichsten Aufgaben hatte der Hausmeister zu verrichten. Er sammelte mehrmals wöchentlich nach dem Morgengebet die Leichen ein, um sie zu verscharren. Heute zeugen nur noch das Haus der Anstandsleitung und eine zweigeschossige Häuserzeile des Armenhauses von der grausamen Zeit.
Unser nächstes Ziel ist das ehemalige Royal Hospital mit seinem barocken Garten. Zwischen 1680 und 1684 ließ der Vizekönig James Butler I. Herzog von Ormonde ein Alten- und Invalidenheim für ausgemusterte Soldaten bauen. Das Royal Hospital war Dublins erster klassizistischer Repräsentationsbau und erntete einen Sturm der Entrüstung, weil ein solch prächtiges Gebäude den ehemaligen Kriegern zur Verfügung gestellt werden sollte.
Offenbar hatten die Entrüsteten dabei beflissentlich übersehen, dass die Baukosten durch eine Sondersteuer vom Sold der Soldaten beglichen wurden. Auch mussten sich die Amputierten und Verstümmelten zu zweit ein Bett in einem Viererzimmer teilen, während den Offizieren der erste Stock vorbehalten blieb. Diese brauchten immerhin ein Einzelzimmer mit Dienstboten. Heute beherbergt der Bau das Irish Museum of Modern Art.
Durch die großzügige Gartenanlage erreichen wir den Bully's Acre. Hier konnten die Dubliner Armen ihre Toten kostenlos auf öffentlichem Grund beerdigen. Es ist zugleich der Ort, an dem sich das Royal Hospital seiner alten Soldaten entledigte. Nach der Cholera-Epidemie 1832 wurde der Friedhof wegen Überbelegung geschlossen. Dies ist er leider noch immer so. Also klettert Lars über einen halb zerfallenen Mauerteil, um ein paar Fotos zu schießen. So wird es übrigens auch im Dublin Reiseführer vom Michael Müller Verlag empfohlen.
Durch das Richmond Gate verlassen wir die Parkanlage und stehen schon fast vor den Eingangstoren des Kilmainham Gaol. Leider haben auch viele andere das Gefängnis als Ziel und wartet eine lange Besucherschlange vor dem Eingang. Aber halb so schlimm, die Gruppe ist bereits mit Eintrittskarten versorgt und wartet nur auf ihre Tour. Erleichtert kaufen also auch wir unsere Karten, bekommen eine Uhrzeit genannt und haben damit noch etwas Zeit, um durch den War Memorial Park zu schlendern.
Die Errichtung des War Memorial Parks war umstritten. Es kam nicht gut, dass sich 300.000 Iren freiwillig bei der Britischen Armee gemeldet hatten, um in den Ersten Weltkrieg zu ziehen. Jeder sechste Ire starb auf dem Schlachtfeld oder an den Folgen des Kriegs. Dennoch weigerten sich die Iren, ihren freiwilligen Soldaten zu gedenken. Erst 14 Jahre nach Kriegsende wurde mit dem Bau des Gedächtnisparks begonnen.
Noch vor der Eröffnung brach der Zweite Weltkrieg aus. Danach wurde der Weiterbau des Memorials bewusst vernachlässigt und der Park zu einem Lagerplatz umfunktioniert. In den 1980er Jahren wurden die Arbeiten wieder aufgenommen. Zum 90. Jahrestag der Schlacht an der Somme fand am 1. Juli 2006 endlich die förmliche Einweihung der Gedenkstätte statt.
Heute laden romantische Rosengärten, Pergolen und kleine Tempel zum Spazieren durch den Park ein. Bei unserem Besuch ist es leider einfach zu kalt dafür. Zudem geben die Rosen an Ostern nur wenig her. So zieht es uns bald in ein warmes Café beim Gefängnis, bevor wir uns in die Schlange für unsere Führung einreihen.
Schwarze Gitter und ein Schlangenrelief über der Türe – bereits der Eingang des Kilmainham Gaol wirkt böse und bedrohlich. So betreten auch wir die Kathedrale des viktorianischen Strafvollzugs mit einem dumpfen Gefühl. Es ist das Gefängnis Irlands, indem so ziemlich jeder Nationalheld der Insel einige Zeit gesessen hat.
Das Staatsgefängnis Kilmainham Gaol wurde 1795 eröffnet und danach ständig erweitert. Um die Gefangenen besser unter Kontrolle zu halten, setzte die Gefängnisleitung auf kleine Zellen. Diese waren in einem ovalen Bau so angelegt, dass auf Korridore verzichtet werden konnten.
Die Zellen waren damit immer im wachsamen Blick der Wärter. Und wurden die dicken Türen verschlossen, setzte sich die Kontrolle durch das »never sleeping eye«, dem erstmals eingesetzten Guckloch, fort.
Nur allzu bald mussten sich die Verantwortlichen jedoch eingestehen, dass die düsten Zellen aufs Gemüt schlagen. Finsternis und Ausschluss der Sonnenstrahlen wurden in alten Gefängnissen immer mit Strafe verbunden. Doch genau dies wirkt sich auch negativ auf die Psyche der Menschen aus.
John Lentaigne kam zu der Erkenntnis, dass der Mangel an Sonnenlicht die kriminellen Impulse der Inhaftierten eher noch förderte. Um dem zu begegnen, ließ er das Gefängnis mit »Swiss Windows« ausstatten, großen Fenstern, die an den Enden des Gänge eingebaut wurden und durch die natürliches Licht in die Gewölbe fluten konnte.
Das Kilmainham Gaol zählt zugleich zu den wichtigsten Schauplätzen des irischen Unabhängigkeitskampfes. So waren bis auf O'Connel und den IRA Führer Michael Collins alle Anführer des Unabhängigkeitskampfes und des Osteraufstandes von 1916 hier inhaftiert. Viele fanden in den Gemäuern ihren Tod. Einer der berühmtesten Anführer des Osteraufstandes war Joseph Plunkett. Am 4. Mai 1916 heiratete er morgens um 1.30 Uhr Grace Gifford in der Gefängniskapelle. Das eheliche Glück währte nur kurz. Keine zwei Stunden später wurde Plunkett im Exekutionshof erschossen. Dieser dient heute als Gedenkstätte. Zwei schlichte Holzkreuze markieren die Hinrichtungsstellen auf dem Kiesboden.
Das Gefängnis wurde im Jahr 1924, nach der Unabhängigkeit Irlands, geschlossen. Daraufhin war das Gebäude dem Zerfall preisgegeben, bis man sich in den 1960er Jahren seiner historischen Bedeutung besann. In Eigeninitiative eröffneten Republikanische Veteranen das Gefängnis als Museum. Eamon de Valera, selbst zweimal im Kilmainham Gaol inhaftiert und als letzter Gefangener aus dem Gefängnis entlassen, gab als damaliger irischer Präsident seinen Segen zu dem Projekt.
So haben wir heute die seltene Gelegenheit, ein solch gut erhaltenes, historisches Gefängnis zu besichtigen. Die bedrückenden, kleinen Zellen sind mit Namensschildern der bekannteren Gefangenen versehen und die viktorianischen gusseisernen Wendeltreppen erinnern an alte Gefängnisfilme. Das ist kein Zufall, denn auch die Filmindustrie hat das Objekt als authentische Kulisse entdeckt. Leider nutzen während unserer Tour auch zwei Italienerinnen die schönsten Ecken in dem Gefängnis, um ihre frivolen Posen auf Fotos zu verewigen. Schön, dass die meisten Besucher etwas mehr Sinn für Gedenkstätten zeigen.