Derry - Londonderry und die Bogside

Die nordirische Stadt mit zwei Namen

Derry oder auch Londonderry gehört zu den Städten, in denen wir bei unserem ersten Abend lernen mussten. So erwies sich die Taktik, mal geschwind ein Restaurant über die POI's im Navi zu finden, als Trugschluss. Denn auch wenn uns genügend Möglichkeiten nahe dem Zentrum angezeigt wurden, so entpuppten sich diese vor Ort als Abholrestaurants oder Kneipen ohne auch nur einen Hauch von Flair.

Ebenso hatten wir kein Glück mit den Pubs im Zentrum. Diese haben zwar ein gewisses Flair, beschränken sich bei ihrer Speisekarte aber auf Steaks und andere schwere Gerichte. Nachdem wir schon jeden Morgen ein Frühstück serviert bekommen, das einem genug Kalorien gibt, um den ganzen Tag über Bäume zu fällen, ist uns hingegen mehr nach leichter Kost.

Service im Restaurant scheint völlig überbewertet

Letztendlich landen wir mit unseren Wanderklamotten in einem piekfeinen Restaurant nahe dem Zentrum. Was uns als erstes auffällt: wir sind die einzigen in legerer Kleidung. Dennoch werden wir freundlichst an einen der kleineren Tische geführt und auch schon bald bedient. Womit uns eine zweite Besonderheit auffällt: Während wir die Getränke an den Tisch gebracht bekommen, laufen andere Gäste ständig an die Theke, um sich dort das Trinken zu holen.

Machen wir etwas falsch? Gibt es da Preisunterschiede? Mit einer Mischung aus Neugier und Unsicherheit fragen wir die junge Frau, die sich unter dem wachsamen Blick ihrer Ausbilderin um uns kümmert. Warum die anderen die Getränke holen, kann sie uns jedoch nicht sagen. Es kostet alles gleich viel, egal, ob man es holt oder sich bringen lässt. Sie machen es, weil sie es so gewohnt seien und dann alle am Tisch schneller mit Getränken versorgt sind als es sonst möglich wäre.

Das Bishop's Gate und die Schlacht am Boyne

Als wir die Stadt erkunden gehen, dämmert es bereits. Auf dem Weg über die Bishop Street Within zum Bishop's Gate begegnen uns nur wenige Spaziergänger. Dort wo das Tor steht, verlangte James II. im während der Belagerung von 1689 Zutritt in die Stadt. Das Tor wurde 1789 auf Anregung von Bischof Hervey gebaut, um den 100. Jahrestag der Belagerung zu feiern.

Die Seite, welche der Bishop Street zugewandt ist, ist dem von einem Lorbeerkranz gekrönten Fluss Boyne gewidmet. Das Datum bezieht sich auf die Schlacht am Boyne im Jahre 1690. Die nach außen gewandte Seite steht für den Fluss Foyle: Das Datum 1689 und das Schiff, das die Sperre bricht, erinnern an die Erleichterung nach dem Ende der Belagerung.

Alte Kanonen und brennende Autoreifen

Bei dem mit drei Durchlässen versehenen Tor nehmen wir die Stufen hoch auf die breite Stadtmauer. Alte Kanonen erinnern an die Auseinandersetzungen aus früheren Jahrhunderten. Nachdem wir auf der Mauer die St. Columb's Cathedral passiert haben, fällt uns beim Tor über die London Street ein Verschlag aus Paletten auf. Mitten auf einem Platz bilden diese eine etwa zweieinhalb Meter Umfassung für einen großen Haufen Altreifen.

Was uns unfassbar erscheint, hängt ebenfalls mit der Schlacht am Boyne zusammen. In Nordirland werden zum 11. Juli in der »Bonfire Night« oder auch »Eleventh Night« vielerorts Palettentürme aufgeschichtet. Trotz des Verbots und etlicher Aufrufe, darauf zu verzichten, landen dabei auch immer wieder Autoreifen in den Kegeln. Durch sie soll das Feuer stärker rußen und einen beißenden Qualm verbreiten.

Bonfire-Night - Ein Feuer das Konflikte schürt

Seit Jahren werden Anstrengungen unternommen, die Bonfire-Night umweltfreundlicher und zu einem friedlichen Familienfest für alle zu entwickeln. Doch so lange irgendwelche Idioten irische Flaggen sowie katholische Symbole und Bildnisse während der Feier verbrennen, werden auch die Konflikte zwischen den beiden Gruppen in Nordirland immer wieder neu entfacht. Kopfschüttelnd verlassen wir die Aufbauarbeiten zum Londonderry-Reifen-BBQ.

Als Nächstes folgen wir der Stadtmauer nach Norden zur Guildhall. Sie befindet sich seit 1890 im Herzen von Derry und zählt zu den Wahrzeichen der Stadt.In ihr sind der Stadtrat und das Zimmer des Bürgermeisters untergebracht. Damit ist es das einzige erhaltene Zunfthaus Irlands, das immer noch zivil genutzt wird. Als sehenswert gelten die 23 überwältigend schönen Glasfenster, welche die bewegte Geschichte von (London-) Derry zeigen.

Die Peace Bridge verbindet Protestanten mit Katholiken

Der Shipquay-Platz zwischen der Stadtmauer und der Guildhall wird gerne für Demonstration genutzt. So haben sich, als wir den Ort passieren, einige Menschen versammelt. Während sie sich auf der einen Seite für ein freies Palästina stark machen, fordern sie auf der anderen Seite ein Ende des staatlichen Terrors durch Israel. Gleich daneben spielen Kinder zwischen zwei Reihen hüpfender Springbrunnen. Sie müssen erst noch lernen, dass die Erwachsenen ständig in Konflikt leben.

Wir verlassen die Szene und auch die Stadtmauer, sodass wir am Zunfthaus vorbei an den River Foyle kommen. Durch die Troubles hat sich der Fluss zu einer natürlichen Trennlinie zwischen den katholischen und evangelischen Gettos gebildet. Während die Waterside von den Protestanten dominiert wird, leben in den Vierteln Bogside oder Greggan fast ausschließlich Katholiken. Seit dem 25. Juni 2011 verbindet die geschwungene Peace Bridge, die Friedensbrücke, beide Seiten miteinander.

Bogside, das freie Derry

Das Viertel des irischen Konflikts zwischen Katholiken und Protestanten

»Sie reisen nun in das freie Derry ein.« Mit dicken, schwarzen Buchstaben wird uns verkündet, dass wir innerhalb ein und derselben Stadt eine Grenze überqueren: »You are now entering free Derry.« Passend zur Demo bei der Guildhall fordern darunter rote Letter das Ende des Genozids in Gaza, begleitet mit einer Zeichnung, die den Ausschnitt eines Gesichts sowie blutrote Tränen zeigt. Man gibt sich solidarisch mit anderen Volksgruppen, die durch staatliche Gewalt unterdrückt werden.

Das Viertel Bogside steht wie kein anderes für irischen Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten. Um die Anfänge zu begreifen muss man bis ins 12. Jahrhundert zurückblicken. Als Grundursache der Troubles wird die britische Präsenz in Nordirland gesehen, die 1169 mit der Invasion normannischer Truppen begann und 1541 durch die Ernennung Heinrichs VIII. als König von Irland gefestigt wurde. Als Höhepunkt der britischen Präsenz auf der irischen Insel gilt der »Act of Union« im Jahr 1800.

Die Gesetze sorgten immer wieder für Zündstoff

Neben den verschiedenen Glaubensrichtungen - die Iren sind katholisch, die Briten haben sich durch Heinrich VIII. vom Vatikan losgesagt und gehören mehrheitlich der anglikanischen Kirche an - sorgten immer wieder Gesetze für Zündstoff. So war es den Iren untersagt, Handel mit den britischen Kolonien zu treiben oder Vieh zu exportieren. Der Zugang zu Bildung wurde ihnen erschwert, sodass sie wirtschaftlich nur wenig Spielraum hatten und große Teile der Bevölkerung verarmten.

Um sich von dem Joch zu befreien, unternahmen die Iren etliche erfolglose Versuche, sich der Herrschaft durch die Briten zu entledigen. So wurde die Stadt Derry 1689 von den Iren belagert. Das Ende der Belagerung und der Sieg der Briten in der Schlacht am River Boyne am 1. Juli 1690 wird bis heute alljährlich von den Unionisten und dem Oranier-Orden, in den Sommermonaten in einigen Orten Nordirlands gefeiert. In Derry findet der Marsch am 12. August statt.

Dem irischen Aufstand von 1689 folgten die Penal Laws, die Strafgesetze, welche die Iren rechtlich stark einschränkte. Damit wurde ihnen unter anderem der Zugang zu öffentlichen Ämtern vorenthalten. Zugleich begünstigten die Strafgesetze eine Umverteilung des Grundbesesitz. Konnten die Iren um 1600 noch 90 Prozent der Inselfläche ihr eigen nennen, so waren es 1700 nur noch zehn Prozent. Nachdem mit dem Act of Union das Dubliner Parlament aufgelöst wurde und die Iren den Rest ihres ohnehin begrenzten Mitspracherechts verloren, verschlimmerte sich die Situation zusehends. Begünstigt durch das Elend während der großen Hungerkatastrophe zwischen 1845 und 1852 erhielten die Nationalisten starken Zulauf. Wer nicht verhungerte oder auswanderte, organisierte sich.Nachdem mit dem Act of Union das Dubliner Parlament aufgelöst wurde und die Iren den Rest ihres ohnehin begrenzten Mitspracherechts verloren, verschlimmerte sich die Situation zusehends. Begünstigt durch das Elend während der großen Hungerkatastrophe zwischen 1845 und 1852 erhielten die Nationalisten starken Zulauf. Wer nicht verhungerte oder auswanderte, organisierte sich.

Die Troubles - Londonderry bleibt ein Pulverfass

Doch erst nach Ende des Ersten Weltkriegs kam es zum englisch-irischen Krieg (1919-1921), an dessen Ende die Unabhängigkeit Irlands stand. Dass die nordöstlichen Countys bei Großbritannien blieben, liegt an der Nähe zu Schottland, wodurch sich hier vermehrt Briten angesiedelt hatten und über die Jahrhunderte starke wirtschaftliche und verwandtschaftliche Verflechtungen entstanden waren.

Londonderry blieb durch das enge Beisammensein der beiden Volksgruppen jedoch ein Pulverfass, auch weil die Katholiken den Protestanten gegenüber benachteiligt blieben. Nachdem 1967 und 1968 mehrere Demonstrationen niedergeknüppelt wurden, brach am 5. Oktober 1969 der Bürgerkrieg aus. Die Bewohner von Bogside riegelten ihr katholisches Viertel ab und lieferten sich mit der Polizei eine blutige Schlacht.

Bloody Sunday - Der Tiefpunkt der Troubles

Einen weiteren Tiefpunkt erlebte das Zusammenleben von katholischen und anglikanischen Bürgern Derrys am 30. Januar 1972. An dem als Bloody Sunday in die Geschichte eingegangenen Tag wurden 14 unbewaffnete Bürgerrechtler von britischen Soldaten erschossen. Danach kam es immer wieder zu Terrorakten durch die IRA auf der einen und miltanten Protestanten auf der anderen Seite. Erst ab Mitte der 90er Jahre normalisierte sich das Verhältnis beider Gruppen.

Heute erinnern in Bogside farbige Wandmalereien an die Geschehnisse während der Troubles. Auch ein Denkmal zu Ehren der 14 Bürgerrechtler wurde errichtet und nicht zuletzt sollen die Peace Bridge sowie die Friedensflamme zur Versöhnung beitragen. Dennoch ist die Lage in Derry bis heute angespannt. Denn die jahrelangen Unruhen haben Investoren abgeschreckt, sodass immer noch viele Menschen ohne Arbeit sind - die meisten davon sind irischer Abstammung.

Übernachten im Waterfoot Hotel

Günstig gelegenes Hotel, außerhalb der Stadt

Nach den ersten beiden so liebevoll eingerichteten B&B sind wir bei der Ankunft beim Waterfoot Hotel in Derry doch eher enttäuscht. Schon der Empfang ist nicht berauschend. So ist es das wichtigste, dass wir eine Kreditkarte vorlegen, falls wir etwas kaputt machen. Während unserer Rundreise ist es die einzige Unterkunft, die das will und keinem Gast traut.

Ein langer in die Jahre gekommener Gang führt zu unserem Zimmer. Dieses ist, obwohl eine gut befahrene Straße in der Nähe ist, doch recht ruhig. Die Einrichtung ist zweckmäßig, mehr aber auch nicht. Eher schmucklos. Und währen die B&Bs sowas wie Bügelautomaten hinter Schranktüren verstecken, wirkt das Teil hier, wie mitten im Raum stehend.

Zur Fußball Weltmeisterschaft im Waterfoot Hotel

Auch wenn die Sessel und der Teppichboden etwas schmuddelig wirken ist das Zimmer mit dem Bad sauber. Das Bett ist gemütlich und ordentlich. Nur der Fernseher ist viel zu klein. Nicht, dass wir unbedingt Fernseher brauchen, wenn wir auf Reisen sind. Aber während unserem Aufenthalt findet das Halbfinalspiel Brasilien – Deutschland statt. Im Pub ist es eh lustiger.

Leider liegt das Hotel etwas außerhalb. So hat man zwar keine Probleme, einen Parkplatz zu finden, da dieser riesig ist. Aber man braucht ein Auto, um nach Derry zu kommen. Oder man nummt ein Taxi. Im Hotel gibt es einen Pub. Dort ist es dann auch richtig nett, das Spiel zu schauen. Als einzige Deutsche zwischen überwiegend Brasilienfans ist das Ergebnis von 7:1 für uns ein herrliches Erlebnis.

Essen wollen wir nicht im Hotel, nur frühstücken. Hinter der modern eingerichteten Lobby befindet sich das Restaurant, in dem auch das Frühstück serviert wird. Es sind nicht sonderlich viel Gäste im Hotel. So essen wir à la carte. Am ersten Morgen gibt es noch ein Büfett mit Cerealien und Toast. Am zweiten Tag wird nur noch serviert. Das Full Irish breakfast ist in Ordnung. Leider gibt es für den Toast nur billige und eher nicht so leckere Marmelade in Plastikschälchen.

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